Der BITV APP Test des BIT inklusiv-Netzwerks

Wenn man an Apps denkt, fallen einem zunächst Smartphones und Tablets ein, die mit ihren App-Läden Millionen unterschiedlicher Programme für die kleinen Begleiter zur Verfügung stellen. Es gibt kaum eine Alltags- oder Lebenssituation, für die es keine App gibt. Doch sind sie auch barrierefrei? Wie kann ich erkennen, dass eine App für wirklich alle Menschen nutzbar ist? Die Angaben liefern meist nur Informationen zum letzten Update, zur Urheberschaft, der Version und darüber, welche Daten an Dritte weitergegeben werden. Aber ob die App einem Standard für barrierefreie Informationstechnik entspricht, steht dort nicht. Das könnte sich in absehbarer Zeit ändern. Denn ab 2025 müssen auch die Webseiten, Apps, etc. von privaten Anbietern stufenweise barrierefrei sein oder werden. Gesetzlich wurde da in den letzten Jahren viel geregelt.

Rechtliche Situation – kurz und knapp

Die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0) fordert durch die Harmonisierung mit den EU-Richtlinien und -Durchführungsbeschlüssen die Barrierefreiheit aller Webseiten und Apps des Bundes, die öffentlich erreichbar sind. Maßstab für die Barrierefreiheit ist die Konformität mit dem Standard EN 301 549 in der Version 3.2.1. Darüber hinaus gibt es den European Accessibility Act (EAA) und dessen deutsche Umsetzung, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, welches ab 2025 vorsieht, dass auch private Anbieter ihre Webseiten, Shops und Apps barrierefrei anbieten müssen. Das wird stufenweise geschehen und die Realität wird zeigen, wie schnell und wie leicht das Gesetz umsetzbar sein wird.

Warum Prüfverfahren, wenn es schon einen Standard gibt?

Fakt ist aber: Apps, die barrierefrei sind, werden nicht nur von Menschen mit Behinderung geschätzt, sondern von allen. Sie sind in der Regel leichter zu bedienen und z.B. auch in grellen Umgebungen gut nutzbar. Das liegt daran, dass bei der Entwicklung des Layouts die Anforderungen an Mindeskontraste beachtet wurden.

Aber wenn es schon diese klaren gesetzlichen Forderungen gibt, dann muss es auch ein Mittel geben, das Maß der barrierefreien Umsetzung zu bestimmen. Es braucht also ein Testverfahren, das sich auf die geltende Rechtsprechung und den damit verbundenen Standard stützt: die EN 301 549. Genau das war die Motivation hinter der Entwicklung des BITV-APP-Tests. In Bund und Ländern wurden auf Basis der neuen rechtlichen Lage Überwachungsstellen für barrierefreie IT eingerichtet, die ein Prüfinstrument zur Barrierefreiheitsbestimmung dringend brauchen.

Vorgeschichte

Das Projekt BIT inklusiv hatte bereits in den Jahren 2015 bis 2017 einen Test zur Bestimmung der Barrierefreiheit von Software entwickelt. Er war mehrstufig gestaltet (0, 1 und 2) und konnte in Stufe 1 auch die Konformität mit der EN 301 549 prüfen. Im Rahmen des Projektes wurde ein Netzwerk ins Leben gerufen, das sich nachhaltig um den Fortbestand eines Beratungsangebots, primär aber um die Weiterentwicklung der im Rahmen des Projektes entwickelten Testverfahren (Software und PDF) kümmern wollte. Nachdem das Projekt BIT inklusiv abgeschlossen war, trafen sich die Mitglieder des Netzwerks weiterhin. Es war jetzt das BIT inklusiv-Netzwerk, das gern auch BITi-Netzwerk genannt wird. Und dieses beschloss im Jahr 2020, den Softwaretest an die aktuelle bzw. kommende EN 301 549 in der gültigen Version anzupassen. Die gemeinsame Anstrengung hatte sich gelohnt. Im Februar 2021 konnte das Netzwerk den neuen BITV-Softwaretest der Öffentlichkeit präsentieren. Wie alle öffentlich verfügbaren Prüfverfahren bietet es die Möglichkeit, nach durchgeführten Tests genau nachzuvollziehen, was wie geprüft wurde. Gerade Entwicklerinnen und Entwickler sind oft dankbar dafür, diese Möglichkeit zu haben, wenn ein Prüfbericht detaillerte Anmerkungen mit Screenshots zu bestehenden Barrieren liefert, falls möglich auch Hinweise zur Behebung von Mängeln, aber trotzdem eine Rest-Unsicherheit bleibt, ob wirklich alles richtig gemacht wurde. Dann bietet die Prüfanleitung zu jedem Prüfschritt die Möglichkeit, selbst zu schauen, ob wirklich an alles gedacht wurde. In gleicher Weise können nun die Überwachungsstellen das Verfahren nutzen, um z.B. gemeldete Barrieren zu prüfen oder nachzuvollziehen.

Der APP-Switch

Da die Vorschriften aber die Barrierefreiheit von Software nur für behördeninterne Verwaltungsprozesse fordert, für Apps aber vollständig, brauchte es ein weiteres Verfahren. Und weil Apps nicht so weit entfernt sind von Anwendungssoftware, liegt es nahe, einen verfügbaren und unter Creative-Commons-Lizenz stehenden Test zu nehmen an die Barrierefreiheits-Anforderungen von Apps anzupassen. Dieser Aufgabe widmete sich die Stiftung Pfennigparade ab Frühjahr 2021. Durch regelmäßige Feedback-Schleifen aus dem BITi-Netzwerk konnte das Verfahren zügig weiterentwickelt und bereits im Januar 2022 veröffentlicht werden.

Worin unterscheidet sich der BITV-APP-Test vom Softwaretest?

Im Wesentlichen sind es die Prüfanleitungen zu jedem Prüfschritt, die sich unter anderem auf die Nutzung der unter den Betriebssystemen iOS und Android verfügbaren Hilfsmittelsoftware stützt. Ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Denn die Nutzung von Apps unterscheidet sich teils ganz wesentlich vom Umgang mit Anwendungssoftware unter Windows. So mussten also nicht nur Begrifflichkeiten ausgetauscht werden, sondern Vorgehensweisen teils neu entwickelt und in mehreren Schleifen überprüft werden. Auch die Nachhaltigkeit der Beschreibungen spielt hier eine Rolle. Schließlich sollen die Anleitungen auch dann noch verständlich und nutzbar sein, nachdem es ein Betriebssystem-Update gab. Zusätzlich wurden Prüfanleitungen für die Kriterien aus Abschnitt 5 der EN 301 549 formuliert, die im Anhang A in der Tabelle A2 stehen. Dort findet man auch Anforderungen aus den Abschnitten 6 und 7 der EN, für die es noch keine Prüfschritt-Anleitungen gibt. Sie werden im Prüfreport in einem zusätzlichen Kapitel berücksichtigt und bewertet, sofern sie anwendbar sind. Das war in der bisherigen Praxis nicht der Fall. Im Softwaretest werden auch die Anforderungen aus Abschnitt 5 in einem zusätzlichen Kapitel bewertet, sofern sie anwendbar sind. Für Anwendungssoftware gibt es in der EN 301 549 bisher noch keine Tabelle, die die zu berücksichtigenden Anforderungen zusammenfasst wie bei Apps und Webseiten. Die Expertinnen und Experten im BITi-Netzwerk arbeiten derzeit noch an einer Strategie für den Umgang mit dieser Unklarheit. Doch auf lange Sicht wird sich daran nichts ändern, da die europaweiten Anforderungen sich nur auf Apps und Webseiten beziehen.

Es zeigt sich also auch hier, dass in der Beratungspraxis es zwar gut ist, wenn man eindeutig von Standardkonformität sprechen kann und die rechtliche Lage überschaut, es aber letztlich darauf ankommt, dass Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung durch barrierefreie Apps und Anwendungen verbessert oder neu geschaffen werden. Dafür braucht es an erster Stelle Herz und Verstand. Ohne diese Motivation, die das BITi-Netzwerk trägt, wäre eine Entwicklung der Prüfverfahren, die größtenteils in ehrenamtlicher Arbeit entstanden sind, vermutlich nicht möglich gewesen.

Ausblick

Das BIT inklusiv-Netzwerk arbeitet kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Prüfverfahren. In Kürze wird es ein aktualisiertes Verfahren für PDF-Dokumente geben, damit auch dieser Teil der EN 301 549 abgedeckt ist. Der aktuelle PDF-Test prüft nur die Konformität mit PDF/UA. Darüber hinaus werden die Prüfanleitungen angepasst, wenn es z.B. Anregungen von außen gibt. Das Netzwerk freut sich über Anregungen und Kritik sowie über die Mitarbeit in einer unserer fachspezifischen AGs. Der BITV-APP-Test ist zu finden unter https://www.bit-inklusiv.de/bitv-test-mobiler-applikationen/

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