Berufsbild Accessibility Consultant: Ein Erfahrungsbericht

Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.

– Richard von Weizsäcker

„Alexa, möchtest Du Dich auf das Thema Barrierefreiheit spezialisieren?“ Als meine Mentorin mir vor vier Jahren diese Frage stellte, fiel mir zu dem Schlagwort spontan eine Rampe neben einer Treppe ein. Ich dachte: „Digitale Rampen bauen – das könnte interessant werden“ und sagte zu. Damit begann mein Weg vom Greenhorn zum Professional im Bereich digitale Barrierefreiheit. Ich nehme euch ein Stück mit.

Heute vergeht kaum ein Tag mehr, an dem ich mich nicht mit Barrierefreiheit beschäftige und mit den Zielen, die noch vor uns als Gesellschaft liegen. Meine offizielle Stellenbezeichnung lautet Accessibility Consultant und ich bin CPACC-Zertifikatsträgerin. Mein Berufsalltag ist allerdings sehr vielfältig und wird von Polaritäten geprägt: Ich bin Speakerin und Zuhörerin, Motivatorin und Motivierte, Product Ownerin und Teammitglied, Schulungsleiterin und Lernende.

Leuchttürme finden

Der Anfang meiner Reise in die Welt der digitalen Barrierefreiheit war geprägt von dem Gefühl, im Dunkeln zu navigieren. Vor allem im Meer der Gesetzestexte geriet ich das ein oder andere Mal in schwierige Fahrwasser. Glücklicherweise war meine Reise aber auch geprägt von Menschen.

Menschen, die Erfahrungsberichte und Blogs schreiben. Menschen, die Gesetzestexte anhand von Beispielen erklären. Menschen, die Webinare zu aktuellen Themen anbieten. Darunter finden sich sowohl Fachexperten als auch Betroffene – oder beides zugleich. In diesem Stadium fühlte ich mich so, als würden all diese Menschen wie Leuchttürme fungieren. Ich erhielt Impulse und Wegweiser und konnte mich neu ausrichten für die nächste Etappe der Reise.

Der Weg zum Accessibility Consultant kann bei jeder Person anders aussehen. Allen gemeinsam ist aber die Motivation, etwas Sinnvolles zu tun und dieser soziale Gedanke trägt zu Respekt, Hilfsbereitschaft und großem Engagement innerhalb der Community bei.

Wir brauchen Wissensaustausch

Was ich während meiner Beratungstätigkeit schnell gelernt habe: Ich muss beharrlich bleiben. Änderungen in Unternehmensstrukturen und -prozessen erfolgen nur langsam. Wenn das Thema Barrierefreiheit jedoch auf die Agenda kommt, ist schnelle Leistungs- und Handlungsfähigkeit meinerseits gefragt. Daher muss ich auf dem Laufenden bleiben, damit ich Prüfschritte und Empfehlungen zur Barrierefreiheit konkret und fallbezogen auslegen kann. Dabei hilft mir vor allem das Wissen über aktuelle Gesetzeslagen und Best Practices. Hier bieten zertifizierte Expertinnen und Experten wertvolle Beratungen, Schulungen und Workshops an.

Wir brauchen Professionalisierung

Durch Professionalisierung können Menschen mit Expertenwissen die Qualität ihrer Arbeit gewährleisten und werden von ihren Kunden wertgeschätzt und gebraucht. Wie Beatriz in ihrem Fronta11y-Artikel Zertifizierte Fachkraft für Barrierefreiheit. Was bringt mir das? darlegt, gibt es mittlerweile einige Zertifizierungsmöglichkeiten im Bereich der Barrierefreiheit. Auch ich habe mich im letzten Jahr gemeinsam mit meinem Arbeitgeber für die Zertifizierung Certified Professional in Accessibility Core Competencies (CPACC) entschieden. Der CPACC bescheinigt Zertifikatstragenden unter anderem Wissen zu Daten und Fakten von Behinderungen und Einschränkungen, Kenntnisse zu assistiven Technologien und Adaptionsstrategien Betroffener sowie den aktuellen gesetzlichen Regelungen.

Die Prüfung kann mittlerweile auch in deutscher Sprache abgelegt werden. Ich war 2022 im ersten Durchgang nach der deutschsprachigen Pilotphase dabei. Vorbereitet habe ich mich im Eigenstudium mit dem IAAP-Syllabus. Zusätzlich besuchte ich den Kurs Grundlagen der digitalen Barrierefreiheit (Accessibility Core Competencies) der Hochschule der Medien in Stuttgart, an dem ich größtenteils online neben meinem Job teilnehmen konnte. Drei Präsenztage haben das Ganze abgerundet und ich konnte vor Ort inspirierende Menschen treffen. Auch Betroffene diverser Einschränkungen haben an dem Kurs teilgenommen und es zeigten sich hier Grenzen, mit einer Einschränkung an dem Kurs adäquat teilnehmen zu können. Feedback wurde aufgenommen. Das bestärkte mich noch mehr darin, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.

Wir brauchen Vielfalt

Ein besonderes Anliegen von mir ist es, zu verdeutlichen, dass Menschen mit Einschränkungen gleichzeitig Menschen mit besonderen Fähigkeiten sind. Ich wünsche mir wesentlich mehr Vielfalt in der Arbeitswelt. Damit noch mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, mit digitalen Produkten zu arbeiten, habe ich im letzten Jahr einen Fachartikel zur Barrierefreiheit im TYPO3-Backend verfasst. Dies gelang mit der Unterstützung eines engagierten Teams bei coding. powerful. systems. CPS GmbH sowie zwei blinden Testpersonen. Zudem bringe ich mich in der AG Barrierefreie Hochschule der BFIT Bund ein und arbeite derzeit an der Erstellung einer Umfrage an Hochschulen mit. Wir müssen die Weichen stellen, um mehr Menschen den Zugang zu Aus- und Weiterbildung und damit den Weg ins Arbeitsleben zu ermöglichen.

Das können Accessibility Consultants beitragen

Was kann nun also von Beraterinnen und Berater für digitale Barrierefreiheit erwartet werden? Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Beratung, Schulung, Prüfung und Dokumentation die Grundpfeiler der Arbeit als Accessibility Consultant darstellen.

Folgende Themen kann ich zum Beispiel gut aufbereitet darstellen: Was ist digitale Barrierefreiheit und wer ist die Zielgruppe? Was sind die Anforderungen an digitale Web-Angebote und welche gesetzlichen Grundlagen gibt es? Welche Prüfschritte gelten und wie sind sie anwendbar?

Zusätzlich zu den Beratungen erstelle ich auch Dokumentation, zum Beispiel Konzepte, Maßnahmenkataloge, Checklisten, Leitfäden und Handbücher. Dabei gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, wie Schulungen zu barrierefreien Dokumenten, barrierefreien Web-Inhalten und barrierefreier Redaktionsarbeit im Content-Management-System.

Die Prüfung von Web-Angeboten hinsichtlich Barrierefreiheit und die Ableitung von Maßnahmen und Handlungspunkten macht ebenfalls einen großen Teil meiner Tätigkeit aus.

Accessibility Consultants sollten sich regelmäßig weiterbilden. Dies ist bei den IAAP-Zertifikaten übrigens gewährleistet, da dort Continuing Accessibility Education Credits (CAECs) gesammelt werden müssen. Diese erhalte ich nur, wenn ich nachweisen kann, an Weiterbildungsformaten als Zuhörerin oder aktiv als Speakerin teilgenommen zu haben.

Alle Leistungen können und sollten Accessibility Consultants natürlich auch firmenintern einsetzen, um ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen zu schulen, Workflows zu verbessern und in den Projekten Barrierefreiheit von Anfang an einpreisen zu lassen.

Fazit

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind die Weichen gestellt, dass noch mehr Kunden digitale Barrierefreiheit umsetzen müssen und der Bedarf an gut ausgebildetem Personal mit Fachexpertise wächst. Daher kann ich allen, die sich für das Thema Barrierefreiheit interessieren, empfehlen: Vernetzt euch, macht mit und werdet Teil der A11y Community, um unsere physische und virtuelle Welt barrierefreier zu machen. Damit alle Menschen Selbstwirksamkeit erlangen und ihre Potenziale entfalten können – zugunsten unserer Gesellschaft.