Nutzer-Feedback zur „Erklärung zur Barrierefreiheit“

Summary

Studien über Bedürfnisse und Erfahrungen von schwerbehinderten Personen sind schwer zu finden im Internet. Im Rahmen einer explorativen Studie sollte untersucht werden, wie die „Erklärung zur Barrierefreiheit“ genutzt wird und welche Wege des Feedback-Mechanismus präferiert werden und was die jeweiligen Vor- und Nachteile sind.

Die „Erklärung zur Barrierefreiheit“ ist eine vom Gesetzgeber geforderte Information, die alle öffentlichen Institute auf ihren Websites und auch Intranets einbinden müssen. Zusätzlich muss betroffenen Personen ein Feedback-Mechanismus für Fragen und Hilfen zur Verfügung gestellt werden. Wie häufig die „Erklärung zur Barrierefreiheit“ letztendlich genutzt wird und welche Wege, um Feedback zu melden von den betroffenen Personen genutzt wird – darüber gibt es sehr wenig Informationen. Im Rahmen einer explorativen Studie sollte diese Wissenslücke geschlossen werden.

Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2022 eine Online-Umfrage, eine Online-Gruppendiskussion sowie mehrere Einzelinterviews durchgeführt unter schwerbehinderten Probanden. Die Probanden wurden über ein Panel rekrutiert, welches vom Forschungsprojekt „Team Usability“ zur Verfügung gestellt wurde. Das Projekt erforscht, wie Menschen mit Behinderungen in Barrierefreiheits- und Usability-Tests eingebunden werden können. Weil Ergebnisse aus einem Panel einen Bias-Effekt aufweisen können, wurde die Online-Umfrage parallel in verschiedenen speziell auf die Themen „Barrierefreiheit und Behinderungen“ ausgerichteten Online-Foren (v.a. auf Facebook / Meta) gepostet zur Kontrolle der Ergebnisse.

An der Online-Umfrage (durchgeführt im April 2022) haben in einem Zeitraum von 14 Tagen 19 Probanden des Panels teilgenommen. Dies entspricht einer Ausschöpfungsquote von über 80%. Die Ergebnisse können auf Basis der strengen Kriterien an eine Marktforschungsstudie nicht als valide angesehen werden, geben jedoch eine Tendenz an, um sich dem Thema zu nähern. Dieselbe Umfrage in den sozialen Medien hat nur eine Rückmeldung von 3 Personen ergeben. Aufgrund der sehr geringen Rückmeldung konnten die Ergebnisse nicht in der Studie berücksichtigt werden. Dieses Ergebnis zeigt das grundlegende Problem, dass es sehr schwierig und zudem zeitaufwendig ist, an repräsentative Stichproben bei der Gruppe der Menschen mit Behinderungen zu gelangen. Bei der Online-Gruppendiskussion und den Einzelinterviews (durchgeführt im August 2022) haben 9 Probanden des Panels teilgenommen.

Obwohl die Probanden im Panel eine gewisse Affinität zur digitalen Barrierefreiheit aufweisen, gab knapp die Hälfte der Probanden an (47%), dass Sie die Seite zur „Erklärung zur Barrierefreiheit“ bisher noch nie aufgesucht hatten. Aber knapp ein Drittel der Probanden (37%) hatte Kontakt zum Website-Betreiber aufgenommen. Dieser Wert erscheint relativ hoch und deutet auf einen Bias-Effekt des Panels hin. Die wenigen Rückmeldung aus den sozialen Medien ergab einen Wert von 0%. Auch wenn die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Werten liegt, kann geschlussfolgert werden, dass noch zu wenige schwerbehinderte Probanden bei Problemen aktiv den Kontakt zu den Betreibern aufnehmen. Die Gefühlslage der schwerbehinderten Personen zur Erklärung wird durch das folgende Zitat ganz gut ausgedrückt:

„Es ist sehr selten, dass eine Webseite wirklich barrierefrei für mich ist. Mir kommen die Erklärungen oft eher als Ausrede vor.“

Proband

Bei der Frage nach den präferierten Kontaktwegen des Feedback-Mechanismus zeigte sich in der Online-Umfrage eine klare Präferenz digitaler Kanäle zur Kontaktaufnahme (siehe Abbildung 1). Der Kontaktweg „E-Mail“ erhielt mit 47% die meisten Nennungen, gefolgt vom Online-Formular mit 37%. Mit großen Abstand folgte als analoger Kanal das Telefon. Post oder Fax sind für den Personenkreis überhaupt nicht mehr von Relevanz.

Persönlich bevorzugte Wege, um Kontakt zwecks Barrierefreiheit aufzunehmen

In der für 90 Minuten angesetzten Online-Diskussion konnten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Kontaktwege detailliert besprochen werden. Bei analogen Kontaktwegen wie Post oder Fax wurden überwiegend Nachteile wie z.B. Kosten für Briefmarke, Dauer für Versand, Eingang und Rückantwort sowie eine aufwendigere Lesbarkeit gedruckter Dokumente durch Hilfsmittel (Lupen-Geräte) im Vergleich zu Online-Formaten aufgezählt. Ein sehbehinderter Proband meldete in der Diskussion zurück, dass analoge Kontaktwege „generell nicht mehr in Frage kommen für sehbehinderte Menschen“. Beim Telefon wurde angemerkt, dass man „an Sprechstunden gebunden ist“ bzw. „niemanden erreicht“ und ein Telefonat im Verwaltungsalltag verloren gehen kann. Ebenfalls wurde erwähnt, dass das Problem vom telefonischen Kundendienst nicht verstanden wird bzw. keine Zeit besteht für eine ausführliche Erläuterung bzw. Beschreibung des Problems.

In der Gruppen-Diskussion gab es eine noch deutlichere Präferenz hinsichtlich des Kontaktwegs E-Mail. Der klare Vorteil der E-Mail liegt in der Möglichkeit, dass keine externen Vorgaben für die Beschreibung existieren und somit freier Text geschrieben werden kann. Zudem wurde erwähnt, dass z.B. Screenshots angehängt werden können sowie eine Dokumentation vorliegt. Zudem ist das selbst genutzte E-Mail-Programm bekannt sowie vertraut und ohne unbekannte Barrieren nutzbar im Vergleich zu einem unbekannten Online-Formular.  

Hinsichtlich eines Online-Formulars wurde von den Probanden/-innen zurückgemeldet, dass es in der Vergangenheit zu Problemen bei der Bedienung gekommen ist („Stürzen häufig mal ab“). Zudem war nicht klar ist, welche Einschränkungen bei der Textlänge existieren. Der einzig mögliche Vorteil eines Online-Kontakt-Formulars lag in der Diskussion darin, dass das Formular die Möglichkeit bietet den Ort des Problems per Auswahl oder automatischer Auswahl (z. B. Code der Unterseite) zu ergänzen. Falls das Online-Formular nur aus einem Textfeld besteht, wird aus Sicht der Probanden/-innen kein Mehrwert dieses Kontaktweges gesehen im Vergleich zur E-Mail.

Bei der Frage nach einer angemessenen Antwortzeit wurde im Konsens ein Zeitfenster von 1-2 Tagen genannt. Dauert eine Beantwortung länger als 72 Stunden, wünschen sich die Probanden/-innen eine proaktive Meldung. 

Fazit

Unabhängig von den Ergebnissen hat sich gezeigt, wie gut klassische Methoden der Usability-Forschung (Fokusgruppe sowie Umfrage) im digitalen Kontext mit schwerbehinderten Personen funktionieren. Es gibt also methodisch keine Gründe diesen Personenkreis aus Untersuchungen auszuschließen. Herausforderung bleibt, Probanden für Untersuchungen zu finden. Diese Lücke sollten professionelle Marktforschungsfirmen für die Gewinnung von Testpersonen schließen. Durch die steigende Relevanz der Barrierefreiheit für die Privatwirtschaft durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wird der Bedarf steigen, mehr schwerbehinderte Personen in Marktforschungsaktivitäten einzubinden.

Die gesamte Studie ist in der Digital Library der Gesellschaft für Informatik unter der URL Multi-Methoden-Ansatz mit Probanden mit Behinderung – Digitale Bibliothek – Gesellschaft für Informatik e.V.  öffentlich zugänglich.