Erster Monitoring-Bericht Umsetzung der EU-Richtlinie 2102 in Deutschland

Einen Tag vor Weihnachten 2021 hat BFIT-Bund (die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik) den ersten Bericht über den Umsetzungsstand der Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen veröffentlicht. Damit ist die Bundesfachstelle Barrierefreiheit der von der EU-Richtlinie 2102 gesetzlich geforderten Berichterstattung nachgekommen. Laut der sogenannten „Richtlinie (EU) 2016/2102 des europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen“ musste die Berichterstattung bis spätestens 23. Dezember 2021 erfolgen. Der Bericht kam also keinen Tag zu früh. Ab jetzt erfolgt alle drei Jahre eine turnusmäßige Wiederholung des Berichts – nicht nur von Deutschland, sondern von allen Mitgliedstaaten der EU. 

Wie wurden die Daten für den ersten Monitoring-Bericht ermittelt?

In Deutschland wurden für den Bericht über zweitausend Websites, Webanwendungen und Dokumente geprüft. Die Überprüfung wurde von den Überwachungsstellen des Bundes bzw. der jeweiligen Bundesländer durchgeführt. Die Mehrzahl der Prüfungen fand auf Basis der sogenannten vereinfachten Überwachung statt (also keine vollständige BITV-Prüfung). Konkret schlüsselte sich das wie folgt auf:

  • 1762 Webauftritte mit der Methode der vereinfachten Überwachung,
  • 130 Webauftritte mit der Methode der eingehenden Überwachung,
  • 57 mobile Anwendungen mit der Methode der eingehenden Überwachung sowie
  • 65 manuelle Prüfungen von Dokumenten im Rahmen der eingehenden Überwachung

Ergebnis des ersten Monitoring-Berichts

Das Ergebnis des ersten Monitoring-Berichts über den Stand der digitalen Barrierefreiheit in Deutschland ist leider nicht positiv ausgefallen, Zitat: „In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass kein Webauftritt und keine mobile Anwendung gleichzeitig alle der geforderten Anforderungen erfüllen konnte“. Zu den am häufigsten Barrieren zählen laut Bericht:

  • Visuelle Informationen, die für Screenreader-Nutzende nicht zugänglich waren
  • Keine oder begrenzte Tastaturbedienung (ohne Maus also nicht nutzbar)
  • Nicht-Text-Inhalte, die für Menschen mit Seheinschränkungen nicht wahrnehmbar waren

Erkenntnisse aus der vereinfachten Überwachung

Positiv ist, dass die Methode der vereinfachten Überwachung offensichtlich ausgereicht hat, um festzustellen, dass „kein Webauftritt und keine mobile Anwendung gleichzeitig alle der geforderten Anforderungen erfüllen konnte“. Bedenklich ist, dass eine vollständige Prüfung – mit einer deutlich tiefergehenden Analyse – erfahrungsgemäß mehr Probleme zutage geförder hätte. Um das deutlich zu machen, die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) enthalten aktuell 78 Erfolgskriterien (ohne Konformitätskriterien). Davon wurden in der vereinfachten Überwachung nur 20 geprüft. Dieser begrenzte Prüfumfang hat zwar ausgereicht, um zu dem besagten Ergebnis zu kommen, aber die für die Bewertung der Barrierefreiheit relevante EU-Norm 301549 beinhaltet noch viel mehr Anforderungen. Der BITV-Test kommt derzeit sogar auf über 90 Prüfschritte. Es wurde also mehr oder weniger nur 25 % des gesamten Prüfkatalog geprüft. 

Unnötige Relativierung

Leider hat die BFIT-Bund das nicht zufriedenstellende Ergebnis des Monitoring-Berichts selbst relativiert. Zitat: „Jedoch bedeutet dies nicht, dass die getesteten digitalen Objekte nicht nutzbar wären. Auch wenn einzelne Anforderungen nicht erfüllt werden, so sind in der Regel die Webauftritte und mobilen Anwendungen weiterhin gut nutzbar.“ Diese Relativierung ist irreführend und unzulässig. Eine allgemeine gute Nutzbarkeit hat mit Usability zu tun, also per Definition in erster Linie mit Gebrauchstauglichkeit für Menschen ohne eine Behinderung. Der Monitoring-Bericht soll aber die Umsetzung der EU-Richtlinie 2102 auf Basis der EN 301549 bewerten. Es geht hier explizit um Menschen mit einer Behinderung und nicht um die Frage, ob ein Internetauftritt oder eine App für alle Menschen allgemein benutzbar ist. Was viele nicht wissen, die WCAG sind nur für Menschen mit Behinderung gemacht. Zitat: „There are many general usability guidelines that make content more usable by all people, including those with disabilities. However, in WCAG 2.0, we only include those guidelines that address problems particular to people with disabilities.“ Wenn man also auf der Basis eines ohnehin reduzierten Prüfkatalogs zu dem Schluss kommt, dass kein Webauftritt und keine mobile Anwendung alle Anforderungen erfüllen konnte, dann muss man das ohne Relativierung so stehen lassen. Denn der Monitoring-Bericht soll ja nur dabei helfen, festzustellen, ob die harmonisierten EU-Norm für digitale Barrierefreiheit in den jeweiligen Ländern umgesetzt wurden, oder nicht. Den gesamten Prüfbericht können Sie sich beim BFIT, der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik als PDF herunterladen. Dieser Artikel ist die Kurzfassung eines Anfang 2022 auf dem Barrierekompass erschienenen Beitrags.