Eignung von Usability-Methoden bei blinden Probanden

In mehreren Artikeln wurde betont, wie wichtig es ist Menschen mit Behinderungen in die Entwicklung und Konzeption von digitalen Anwendungen einzubeziehen. Für die Erhebung von Nutzeranforderungen und Evaluierung von Systemen stehen der Usability-Forschung eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, z.B. Usability-Test, Fokus-Gruppe, Online-Umfragen u.v.m. Die Auswahl der richtigen Methode hängt von vielen Faktoren ab – doch wie gut bzw. schlecht diese Methoden geeignet sind, um valide Rückmeldungen von Menschen mit Behinderungen zu erheben, ist bislang wenig erforscht. Diese Lücke soll im Rahmen mehrerer Praxis-Tests in Zusammenarbeit mit dem DIAS-Projekt „Team Usability “ und der VBG – Verwaltungs-Berufsgenossenschaft geschlossen werden. Erste Eindrücke und Erkenntnisse werden in diesem Artikel beschrieben.

Vorhaben und Durchführung

Im November 2019 wurden zwei blinde Personen mit einem Behinderungsgrad von 100% in einem ca. 90-minütigem persönlichem Interview zu diversen Themen und Fragestellungen eingeladen. Im Vorfeld wurde ein Moderationsleitfaden entworfen der durch das Gespräch führt und typisch ist für Usability-Erhebungen. Aufgrund der angenehmen Gesprächssituation und der Bereitschaft beider Personen wurde das als Einzelinterview geplante Vorhaben in eine kleine Gruppendiskussion überführt. Zudem wurde im Anschluss an das Interview mit jedem der Teilnehmer ein kleiner Usability-Test durchgeführt, um technisches Equipment und den Ablauf besser zu verstehen und zu erproben.

Eignung verschiedener Methoden

Beide Probanden hatten wenig Berührungsängste mit den vorgestellten Usability-Methoden und konnten zum Teil sogar bereits über Praxiserfahrungen berichten. Obgleich keine Usability-Methode von Vorhinein abgelehnt wurde, zeigte sich im Verlauf der Diskussion, dass einige Methoden eher weniger geeignet wären für sehbehinderte Probanden.

Beobachtung

Bei einer Beobachtung wird die Nutzung eines Systems in der natürlichen Umgebung z.B. am Arbeitsplatz des Nutzers beobachtet. Ein Beobachter protokolliert dabei die Klickwege und alle bewussten aber auch unbewussten Interaktionen.

Viele sehbehinderte Personen nutzen aufgrund der Sprachausgabe Kopfhörer. D.h. der Beobachter müsste je nach technischer Ausstattung des Endgeräts (Laptop, Desktop-PC oder Smartphone) entweder mit einem zweiten Kopfhörer zugeschaltet werden oder es wird als Hilfsmittel ein Lautsprecher eingesetzt – wobei dies nicht immer möglich ist wenn der Nutzer z.B. im Großraumbüro arbeitet. Aufgrund der zum Teil sehr schnell eingestellten Redegeschwindigkeit der Sprachausgabe müsste zudem die Geschwindigkeit für ungeübte Beobachter heruntergedrosselt werden – was zu einer Einschränkung der natürlichen Arbeitsweise führt und ggf. Erkenntnisse verfälscht. Blinde Nutzer verwenden anstelle einer PC-Maus eine Braille-Zeile als Eingabegerät. Beide Probanden waren sich einig, dass es für einen ungeübten Beobachter sehr schwierig bzw. nahezu unmöglich ist, die Navigations- und Klickwege nachzuverfolgen und daraus Rückschlüsse zu ziehen.

Online-Umfrage

Aufgrund der Einfachheit der Erstellung und Beantwortung von Online-Umfragen ist diese Methode weit verbreitet. Beide Probanden gaben an bereits an Umfragen teilgenommen zu haben mit zum Teil ernüchternden Erlebnissen. So konnte zwar die Umfrage im Browser gestartet und die Fragen und Antworten vorgelesen werden, aber am Ende war es dann nicht möglich den Fragebogen erfolgreich abzusenden – was natürlich mehr als frustrierend ist, wenn ein Teilnehmer schon 10 Minuten oder mehr Zeit in die Beantwortung investiert hat.

Online-Umfragen werden mehrheitlich über kostenpflichtige oder kostenlose Umfrage-Tools bereitgestellt und nicht jeder Hersteller kann eine WCAG- oder BITV-konforme Umfrage garantieren. Somit steht und fällt die Eignung dieser Methode mit der technischen Qualität der bereitgestellten Umfrage. Zudem müssen Ersteller von Fragebögen an bestimmte redaktionelle Aspekte der Barrierefreiheit denken, wie z.B. ausreichendes Kontrastverhältnis oder die Verwendung von Alternativtexten bei Bildern oder Untertitel bei gezeigten Videos.

Fokusgruppe

Eine Fokusgruppen ist eine moderierte, strukturierte Gruppendiskussion mit mehreren Teilnehmern zu verschiedenen Fragestellungen. Der Fokus dieser Methode liegt in der Diskussion der Personen und dem Austausch von Meinungen, Ideen und Anregungen.

Weil der Einsatz von technischen Geräten wie Screenreader oder Braillezeilen selten zwingend notwendig ist für eine Teilnahme, ist diese Methode recht gut geeignet generell Menschen mit Behinderung zu integrieren. Eine Einschränkung liegt dabei weniger in der Methode begründet, sondern in der barrierefreien Gestaltung der Räumlichkeiten (sprich Vorhandensein eines ausreichend großen Aufzugs, Größe der Räumlichkeiten, ggf. behindertengerechte Toiletten, etc.), weil Fokusgruppen häufig in speziellen Teststudios durchgeführt werden. Zudem kann es für Probanden etwas ungewohnt sein, mit fremden Personen in einem Raum zu diskutieren – aber diese Angst oder Unbehagen sollte durch einen professionell geschulten Moderator genommen werden.

Usability-Test

Bei einem Usability-Test oder auch Nutzertest führt ein Nutzer eine oder mehrere Aufgaben am zu testenden System aus. Ein Moderator leitet anhand eines Leitfadens durch den Test und stellt gezielt Fragen zu bestimmten Ergebnissen oder Abläufen. Im Prinzip könnten die gleichen Nachteile erwähnt werden wie bei der Beobachtung – jedoch kann der Moderator stärker in das Gespräch einwirken, so dass Probleme eher gezeigt oder besprochen werden können. Ziel dieser Methode ist es zu verstehen und auch gezielt zu erfragen wo die Stärken und Schwächen eines Systems liegen.

Fazit

Bis auf einige Ausnahmen gibt es keine gravierenden oder ausschließenden Einschränkungen beim Einsatz von Usability-Methoden bei schwerbehinderten Personen. Es ist zwar richtig, dass das Setting etwas angepasst werden muss auf die jeweilige Situation, aber dies sollte mit Engagement aller Beteiligten und Flexibilität in der Durchführung mehr als ausgeglichen werden können. Es hapert eher an den fehlenden Möglichkeiten schwerbehinderte Personen zu rekrutieren, an Zeit- und Budgetrestriktionen in Projekten oder dem noch fehlenden Know-How mit den genutzten Technologien oder besonderen Arbeitsweisen dieses Personenkreises.

Next Steps

Im Rahmen der Zusammenarbeit ist geplant Personen mit verschiedenen anderen Behinderungsarten zu befragen um ein Gesamtbild der Methodeneignung zu erhalten. Leider wurden der Zeitplan und das weitere Vorgehen durch die die Corona-Pandemie etwas durcheinandergewirbelt, aber es ist geplant mit virtuellen Remote-Interviews alternative Wege zu erproben. Zudem sollen einzelne Methoden wie z.B. die Online-Umfrage konkret in IT-Projekt der VBG eingesetzt werden.