Herausforderungen und Lösungen für Menschen mit Behinderungen im Web

Menschen mit Behinderungen stehen bei der Nutzung des Internets und dessen Zugänglichkeit oft vor verschiedenen Herausforderungen. Diese Herausforderungen unterscheiden sich je nach Behinderung und sollten bereits vor der Erstellung von Webinhalten berücksichtigt werden. Denn nur, wenn diese nicht berücksichtigt werden, entstehen erst Barrieren. 

Etwa 16% der Weltbevölkerung hat laut WHO (Stand: 2023) mindestens eine Art von Behinderung. Durch die Bereitstellung von barrierefreien Webinhalten wird sichergestellt, dass jeder Nutzer gleichermaßen Zugang zu diesen Inhalten hat. Für viele Menschen beeinflussen Behinderungen die Art und Weise, wie sie mit Online-Inhalten interagieren können. Webseiten, die unter Berücksichtigung von Barrierefreiheit entwickelt wurden, verfügen über Design-, Plattform- und Inhaltsfunktionen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, auf der Webseite zu navigieren und auf die für sie relevanten Inhalte zuzugreifen.

Die Vielfalt an Behinderungen 

Die Vielfalt an Behinderungen ist groß. Und diese Vielfalt wirkt sich auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens aus. Es gibt daher keine „one-size-fits-all“ Standartlösung, sondern es muss auf jede Herausforderung, die User bei der Interaktion von Webinhalten gegenüberstehen, individuell eingegangen werden. 

Einige dieser Behinderungen umfassen Seh- und Hörbeeinträchtigungen, motorische Einschränkungen, kognitive Beeinträchtigungen und viele weitere. Jede dieser Behinderungen kann Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie eine Person auf das Web zugreift und mit dessen Inhalten interagiert.

Typen von Behinderungen

Auf folgende Behinderungen wird in diesem Artikel eingegangen:

  1. Sehbehinderungen, wie Sehschwäche, Blindheit, Farbenblindheit
  2. Hörbehinderungen, wie z. B. Schwerhörigkeit, Taubheit oder auditive Verarbeitungsstörungen
  3. Beeinträchtigungen der Mobilität/Geschicklichkeit
  4. Kognitive Beeinträchtigungen, Lern- oder Leseschwäche
  5. Andere (oft temporäre) Behinderungen, wie Migräne, Krampfanfälle, oder auch schlechte Internetverbindung

Um ein inklusives Web-Umfeld zu schaffen, müssen Designer und Entwickler die Bedürfnisse und Einschränkungen der verschiedenen Nutzergruppen verstehen, bei der Entwicklung berücksichtigen und entsprechende Lösungen bereitstellen.

Da Herausforderungen für die Barrierefreiheit je nach Art und Schweregrad der Behinderung variieren, gibt es unterschiedliche Lösungsansätze, auf die in den nachstehenden Beispielen näher eingegangen werden.

1. Sehbehinderungen und Taubblindheit

Zu den Sehbehinderungen zählen Behinderungen wie Blindheit, Sehschwäche oder Farbenblindheit. Wenn eine Person sowohl taub als auch blind ist, spricht man von Taubblindheit.

Blindheit bedeutet nicht ausnahmslos, dass eine Person ihr Sehvermögen vollständig verloren hat, sondern kann sich auch auf eine partielle Blindheit beziehen, bei der das Sehvermögen weitgehend eingeschränkt ist.

Auch Sehschwäche ist ein weit gefasster Begriff, der viele verschiedene Bedingungen und unterschiedliche Grade der Sehbehinderung umfasst. Die meisten Menschen mit Sehschwäche können nicht gut genug sehen, um z.B. Texte zu lesen, oder sehen Inhalte und Objekte oft verschwommen, mit geringem Kontrast oder dunklen Flecken und Schatten.

Bei Farbenblindheit können Betroffene nicht zwischen bestimmten Farben (in der Regel Farben mit gleicher Helligkeit oder Leuchtkraft) unterscheiden, z. B. zwischen Grün- und Rottönen.

1.1. Herausforderungen und Lösungen

Wenn Betroffene mit Webinhalten interagieren, stehen sie oft vor verschiedenen Herausforderungen. Schwierigkeiten, kleine oder kontrastarme Texte erkennen, zwischen Farben unterscheiden, oder Text überhaupt wahrnehmen zu können, können mit Hilfe von technischen Tools überwunden werden. Aber nur, wenn Webinhalte barrierefrei gestaltet sind.

Häufig werden Bildschirmlesegeräte, sogenannte Screen Reader, verwendet, um mit Webinhalten zu interagieren. Screen Reader lesen Benutzern Inhalte einer Webseite laut vor. Da Benutzer nicht die Möglichkeit haben, den Inhalt auf einen Blick wahrzunehmen, um sich einen Überblick zu beschaffen, navigieren diese mittels Screen Reader über Hauptpunkte, die mittels bestimmter Semantik und Struktur von Entwicklern kompatibel gestaltet werden.

Einige dieser Elemente sind:

  • Landmarks: mittels semantischen HTML (HTML tags mit bestimmten Rollen, wie Header, Navigation oder Hauptinhalte, und solche) oder der äquivalenten Rollenzuweisung durch Aria für diese Bereiche, in die die Webseite strukturiert ist, entsteht eine für Screen Reader Benutzer navigierbare Struktur, die es ihnen ermöglicht, Webseiten schnell zu verstehen und effizient zu jenen Teilen der Webseite zu navigieren, die sie lesen möchten.
  • Lesefluss: Überschriften, die klare Informationen über die Struktur und den Inhalt der Seite liefern sowie eine logische Anordnung der einzelnen Elemente, helfen den Nutzern von Bildschirmlesegeräten bei der Navigation zu den gewünschten Inhalten.
  • Semantisches HTML: durch die richtige Verwendung von HTML tags für Buttons, Links oder Abschnitte erhält der Nutzer Informationen des jeweiligen Elements und wie damit interagiert werden kann.
  • Eindeutige Ausformulierung von Aktionselementen wie Buttons oder Links dienen nicht nur Screen Reader Nutzern sondern auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder jene, die mit Webseiten nicht vertraut sind, um zu verstehen, was sie erwartet, wenn sie mit dem Element interagieren (z. B. „Agenda des Wir-Für-Alle Events“ statt „hier klicken“).
  • Alt-Text oder Aria-label für visuelle Elemente wie Bilder oder Tabellen beschreiben deren Inhalte für Screen Reader Nutzer. 

Auch Menschen mit Taubblindheit profitieren von der richtigen Verwendung der eben genannten Elemente, um Zugang zu Webinhalten zu erhalten. Betroffene interagieren mit dem Web mittels auffrischbarer Braillezeile in Kombination mit einem Bildschirmlesegerät, das den Text aufnimmt und in Braille umwandelt.

Menschen mit Sehschwäche vergrößern mit Hilfe einer Bildschirmlupe (Screen Magnifier) Seitenelemente, um die Inhalte besser lesbar zu machen und mit Webinhalten interagieren zu können. Ein reibungsloser Ablauf gelingt, wenn das Design vollständig responsive ist.

Auch wenn Software und Hardware dem Nutzer die Möglichkeit bieten, den Farbkontrast selbst einzustellen, ist es unumgänglich, dass Designer Inhalte bereits mit ausreichend hohem Kontrast erstellen, um den Benutzern das Lesen und die Interaktion mit Webelementen zu erleichtern. Kontrastreiches Design stellt sicher, dass Menschen mit geringer Sehschärfe oder Farbenblindheit Text leichter lesen und Links von Text sowie zwischen den verschiedenen Elementen unterscheiden zu können.

Darüber hinaus sollte Farbe nicht die einzige Methode sein Informationen zu vermitteln. Vor allem bei Tabellen und Diagrammen ist es wichtig, nicht nur die Farbe, sondern auch andere Mittel wie Text oder unterschiedliche Umrandungen und Strukturen zu wählen, um so den Benutzern die Differenzierung der Inhalte zu erleichtern.

2. Hörbehinderungen

Zu den Hörbehinderungen zählen unter anderem Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit oder auditive Verarbeitungsstörungen. Da der größte Teil des Internets durch visuelle oder textuelle Darstellung zugänglich ist stehen Menschen mit Hörbehinderungen weniger Problemen als Menschen mit Sehbehinderungen gegenüber. 

2.1. Herausforderungen und Lösungen

Menschen mit Hörbehinderungen können Audioinhalte oder den Audioteil von Videos schlecht oder gar nicht wahrnehmen. Ihre Herausforderungen liegen also bei multimedialen Inhalten wie Musik, Podcasts, Videos oder Filmen.

Je nach Format ist die Bereitstellung verschiedener Alternativen unumgänglich, um den Benutzern vollen Zugang zu den Inhalten zu gewährleisten. Bei einem Live-Event (Reden, Vorträge, und dergleichen) ermöglichen Gebärdensprachdolmetscher oder Live-Untertitel den Betroffenen, die Inhalte zu verstehen.

Videos und Filme sollten mit Untertiteln oder Transkripten versehen sein, die es Menschen mit Hörproblemen ermöglichen, den Inhalt zu lesen. Transkripte sollten auch bei anderen Audioinhalten, wie z.B. Podcasts am Ort der Nutzung verfügbar sein.

3. Motorische Behinderungen

Motorische Behinderungen reichen vom Zittern der Hände bis zur teilweisen oder vollständigen Lähmung des gesamten Körpers. Dazu gehören Menschen mit neurologischen Problemen, Menschen mit Erkrankungen wie Muskeldystrophie, Zerebralparese, Multipler Sklerose, Parkinson oder ALS sowie Menschen mit Rückenmarksverletzungen. Manche Menschen nutzen alternative Methoden zur Navigation auf einer Website, entweder über die Tastatur oder per Sprachsteuerung. 

3.1. Herausforderungen und Lösungen

Das Web ist oft für Mausbenutzer oder Touchscreens konzipiert, was es für Benutzer, die mit Händezittern zu kämpfen haben, ihre Hände kaum bis nicht bewegen können oder überhaupt keine Hände haben, oft schwierig macht.

Daher ist es wichtig, Webinhalte nicht nur für Mausbenutzer, sondern auch für Tastaturbenutzer und andere unterstützenden Technologien verfügbar zu machen. Hilfstechnologien können alternative Tastaturen, Mundstifte, Eye-Tracking-Technologien und vieles mehr sein.

Die Entwickler müssen sicherstellen, dass Webinhalte für jegliche Tastaturgeräte zugänglich sind, indem semantisches HTML oder Aria verwendet wird oder mittels CSS und JavaScript interaktive Elemente barrierefrei gestaltet werden. Der Tastaturfokus, der visuell das aktive Element hervorhebt, muss für Benutzer stets sichtbar sein, um zu erkennen, wo sich diese aktuell auf der Seite befinden. 

Interaktive Elemente wie Button, Links oder Checkboxes müssen groß genug sein und Fehler in Betracht gezogen werden, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, der Benutzer nicht frustrieren lässt. 

Wenn Webseiten Elemente mit Zeitlimit enthalten, muss den Nutzern genügend Zeit gegeben werden, mit den Webinhalten zu interagieren, da sie aufgrund langsamerer Bewegungen möglicherweise nicht in der vorgegebenen Zeit reagieren können. Dies ist nicht nur hilfreich für Menschen mit motorischen Einschränkungen, sondern auch für Menschen mit z.B. kognitiven Behinderungen oder älteren Personen, für die Zeitlimits oft eine eigene Herausforderung darstellen. Deshalb ist bei der Erstellung dieser Elemente wichtig, den Nutzern die Möglichkeit zu geben, das Zeitlimit anzupassen, zu verlängern oder gänzlich abzuschalten.

4. Kognitive Behinderungen

Zu den kognitiven Behinderungen zählen unter anderem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus-Spektrum-Störung (ASS), Down-Syndrom, sowie Lernbehinderungen (z.B. Legasthenie) und Leseschwäche. Auch Sprachstörungen fallen in diese Kategorie. Zu den Arten von Sprachbehinderungen gehören unter anderem Undeutlichkeit, Stottern oder der vollständige Verlust der Stimme.

4.1. Herausforderungen und Lösungen

Menschen mit kognitiven Einschränkungen finden es oft schwierig oder überwältigend, komplexe Designs und Aufgaben zu verstehen, technische Probleme zu lösen oder Fehler zu beheben (z.B. Formular). Daher ist es wichtig, die Benutzeroberfläche einfach zu gestalten, gut zu strukturieren und leicht verständliche Lösungen anzubieten, um Fehler behandeln zu können. Interaktive Elemente wie Links, Buttons und die Navigation sollten sich klar und vorhersehbar verhalten.

Um es Menschen mit Leseschwäche einfacher zu machen, Wörter buchstabieren und somit Webinhalte verstehen zu können, bieten sich als Lösungen die Möglichkeit, auf eine spezielle Schriftart zu wechseln, Farbkontrast oder Unterstreichungen hinzuzufügen oder eine benutzerdefinierte Formatvorlage anwenden zu können, an. 

Einige dieser Nutzer verwenden Bildschirmlesegeräte, um sich den Inhalt vorlesen zu lassen. Das hilft ihnen dabei, Wörter und Sätze leichter zu verstehen. Die Webseite Screen-Reader-sicher zu gestalten, kommt also nicht nur Menschen mit Sehbehinderungen zugute. Im generellen kann es hilfreich sein, wichtige Inhalte in mehreren Formaten zur Verfügung zu stellen (z. B. sowohl Text als auch Audio).

Da für Menschen mit Sprachbehinderungen die Nutzung von oft sprachbasierten Tools wie Zoom eine Herausforderung darstellt, sollten alternativen wie Chat oder E-Mail zur Kommunikation angeboten werden.

5. Weitere Behinderungen

Körperliche und kognitive Behinderungen sind aber nicht die einzigen Herausforderungen mit denen Benutzer beim Zugriff auf Webinhalte konfrontiert sein können. Andere Herausforderungen können umstandsbedingt, umweltbedingt oder sogar gesellschaftlich oder kulturell bedingt sein. Einige Beispiele wären Sprachbarrieren, Bildung, Webzugang, oder Internetprobleme.

Wieder andere sind oft nur temporär, wie Krankheit, Schlafentzug oder Anfälle.

5.1. Herausforderungen und Lösungen

Temporäre Krankheiten und Schlafentzug führen zu Konzentrationsschwäche. Die Verwendung von einfachen Designs und Sprache hilft den Nutzern in dieser Situation, Webinhalte zugänglich zu machen. Einfache Sprache hilft auch Nutzern, deren Muttersprache nicht die der Webseite oder deren Bildungsgrad niedriger ist.

Grelle oder blinkende Lichter können (epileptische) Anfälle oder Migräne, der sogenannte Parallex-Scrolling-Effekt Kopfschmerzen auslösen. Nutzer müssen vorab gewarnt werden und ihnen die Möglichkeit gegeben werden, bestimmte Animationen abzuschalten.

Für Nutzer, die mit temporären Internetproblemen zu kämpfen haben oder die durchgehend an einem Ort mit schwacher Internetverbindung leben, erschwert sich der Zugriff auf Bilder und Videos, da diese nur unregelmäßig bis gar nicht laden. Auch hier ist die Lösung, die bereits im Kapitel Sehbehinderungen und Taubblindheit genannt wurde, den Elementen mit Textalternativen zur Verfügung zu stellen.

Conclusio

Das Spektrum der Behinderungen, die im Web auftreten können, ist breit gefächert und erfordert unterschiedliche Lösungsansätze, um eine uneingeschränkte Interaktion für alle Nutzer zu ermöglichen. Oftmals sind diese Lösungen nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Behinderungen, sondern für mehrere Gruppen nützlich.

Aus diesem Grund ist es wichtig, dass das Entwicklungsteam bereits in der Planungsphase Lösungen berücksichtigt. Um eine einfache und reibungslose Interaktion sicherzustellen, sollten Menschen mit Behinderungen regelmäßig in das Team eingebunden werden, um ihre Erfahrungen aus erster Hand einbringen zu können. Nur so kann ein barrierefreier Zugriff auf Webinhalte von Beginn an entstehen.

Referenzen

Disability, erstellt am: 07. März 2023, WHO Disability (who.int)

Aria in HTML, erstellt am: 24. März 2023, W3C ARIA in HTML (w3.org)